Der VW Haftungs- und Deckungsvergleich zur Dieselthematik: Ein weiteres Kapitel ist beendet.

Der VW Haftungs- und Deckungsvergleich zur Dieselthematik: Ein weiteres Kapitel ist beendet.

Juli 2021


Am 22.07.2021 hat die virtuell durchgeführte Hauptversammlung der Volkswagen AG den Haftungs- und Deckungsvergleich zur Dieselthematik[1] mit 99,9% der Stimmen genehmigt.

Es handelt sich um einen der größten in Deutschland jemals geschlossenen D&O-Deckungsvergleiche. Der Schaden wurde durch mehrere Umstandsmeldungen im Jahr 2015 angezeigt. Das Versicherungsprogramm 2015 des Volkswagen-Konzerns weist eine Deckungsstrecke von insgesamt € 500 Mio. auf. Hiervon leisten die D&O Versicherer des Programms 2015 261.890.000. Weitere € 8.125.000 werden aus dem D&O Versicherungsprogramm 2021 gezahlt (bei einer Gesamtstrecke von € 480 Mio.). Beteiligt waren fast alle der namhaften internationalen D&O-Versicherer. Der Grundversicherer des D&O Versicherungs­programms 2015 und 2021 ist die Zurich, gefolgt von neun Exzedenten (u.a. AXA XL, AGCS, AIG, HDI, Liberty, AWAC, TMHCC). Lediglich die US-amerikanische Berkshire Hathaway (erster Exzedent des Programms 2021 von € 50 Mio. (nach € 25 Mio.) lehnte eine Beteiligung an dem Deckungsvergleich ab, insoweit wird u.U. eine gerichtliche Auseinandersetzung folgen.

Die Haftungsvergleiche mit den Vorständen Prof. Dr. Winterkorn und Dr. Stadler sehen Leistungen von € 11,2 Mio. bzw. € 4,1 Mio. vor. Die Zahlungen von Herrn Prof. Dr. Winterkorn werden in Höhe von € 7,21 Mio. in zwei Jahresraten geleistet, in Höhe von € 3,99 Mio. durch Verzichte auf eine Long-Term incentive Bonus für das Geschäftsjahr 2016 (€ 2,655 Mio.) und eine Sondervergütung für 2016 (€ 1,335 Mio.). Herr Dr. Stadler leistet seinen Eigenbeitrag ausschließlich durch Verzichte, erstens von € 420.000 eines Anteils an einem long term incentive Bonus für 2016 sowie zweitens auf aufschiebend bedingte Abfindungsansprüche. Letztere betragen nominal € 5.112.5000 sowie € 112.500 und sind mit € 3.600.000 bzw. € 80.000 in die Bewertung eingeflossen (dazu sogleich).

Insgesamt liegen die konzernweiten Zahlungen der D&O Versicherer und der Vorstände somit bei 287.815.000[2]. Gemessen am derzeitigen Gesamtschaden der Dieselthematik von ca. € 32 Mrd. entspricht dies ca. 0,9%.

Wie üblich, wurden Deckungs- und Haftungsvergleiche zeitgleich ausgehandelt und in einem koordinierten Verfahren aufeinander abgestimmt. Im Vorfeld gab es seitens einiger Aktionärsgruppen Kritik, die sich allerdings in der Haupt­versammlung nicht durchsetzen konnte.

Die Deckungs- und Haftungsvergleiche zur Dieselthematik sind aus verschiedener Sicht sehr komplex.

Einer der großen Kritikpunkte war die Frage, ob es opportun sei, bei noch ungeklärter strafrechtlicher Schuld der Vorstände zivil­rechtlich einen „Schlussstrich“ durch einen Haftungsvergleich zu ziehen, zumal VW für beide Vorstände umfassende Haftungsfreistellungen übernimmt. Bekanntlich führen die Staatsanwaltschaften Braunschweig, München II und Stuttgart u.a. gegen Herrn Prof. Dr. Winterkorn sowie Herrn Dr. Stadler strafrechtliche Verfahren, insbesondere wegen des Vorwurfs des Betrugs. Die Begründungen für den Vergleichsschluss im Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands sind allerdings aus Sicht von VW konsequent: Es sei schlicht nicht zu erwarten, dass in Anbetracht der umfassenden Aufarbeitung der Dieselthematik durch VW im Rahmen der behördlichen und gerichtlichen Verfahren wesentlich neue Erkenntnisse zur zivilrechtlichen Verantwort­lichkeit der amtierenden und ehemaligen Organmitglieder gewonnen werden.

Ein weiterer kritischer Punkt – der bei D&O Haftungsvergleichen häufiger auftritt – ist die Frage der Bewertung von Eventualforderungen der Organe gegen die Gesellschaft. Herr Dr. Stadler leistet seinen Eigenbeitrag u.a. durch Verzicht auf einen Abfindungsanspruch gegen VW und Audi. Die Crux ist dabei, dass der Abfindungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen bzw. endgültigen Beendigung oder Einstellung aller laufenden und vor dem 01.01.2023 eingeleiteten Strafverfahren gegen Herrn Stadler im Zusammenhang mit der Dieselthematik ohne persönliche Schuldfeststellung, steht. Wäre es also zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen, wäre auch der Abfindungsanspruch entfallen. Der Verzicht wäre damit € 0 wert. Vorstand und Aufsichtsrat mussten hier also eine durchaus schwierige Prognose treffen. Insoweit vertraten Aufsichtsrat und Vorstand die Auffassung, dass nach dem Ergebnis der „umfangreichen anwaltlichen Untersuchungen“ Herrn Stadler allenfalls eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung treffe, der Nominalwert der Abfindungsansprüche von € 5,25 Mio. wurde noch um ca. 30% auf € 3,68 Mio. abgewertet.

Der Abgeltungsumfang des Deckungsvergleichs ist sehr weit. Aus Sicht der beteiligten D&O-Versicherer wurde konsequenterweise gefordert, neben der Dieselthematik auch weitere Manipulationen, Verfälschungen oder Falschangaben bzgl. Abgas-, Verbrauchs- oder Leistungswerten von Motoren, die nichts mit der Dieselthematik zu tun haben, abzugelten. Auch dies ist in derartigen Deckungs­vergleichen üblich, weil D&O Versicherer die streitbefangene Thematik in größtmöglichem Umfang abschließen wollen. Die Versicherungsstrecke 2015 über € 500 Mio. gilt als vollständig abgegolten. Jegliche Deckungsansprüche aus dem „Relevanten Sachverhalt“[3] sind erledigt, unabhängig davon, welche Versicherungsperiode betroffen ist. Für die Versicherungsperiode 2021 gilt die Versicherungssumme in Bezug auf den Relevanten Sachverhalt ebenfalls als vollständig ausgeschöpft (mit Ausnahme des ersten Exzedenten der Berkshire Hathaway).

Schlussendlich ist der Haftungs- und Deckungsvergleich mit Blick auf die gerichtlich angeordnete Sonderprüfung bemerkenswert. Aufsichtsrat und Vorstand hielten den Abschluss der Vergleichsvereinbarungen auch vor dem Hintergrund der von dem OLG Celle angeordneten Sonderprüfung[4] für zulässig. Zum einen bleibe auch bei Anordnung einer Sonderprüfung die aktienrechtliche Kompetenz zum Abschluss von Vergleichen und Verzichtserklärungen mit Organmitgliedern bei Vorstand und Aufsichtsrat. Zum anderen lägen fünfeinhalb Jahre nach Bekanntwerden der Dieselthematik in jeder Hinsicht hinreichende Prüfungsergebnisse über die aktienrechtlichen Verantwortlichkeiten amtierender und ehemaliger Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder vor. In einer solchen Situation Prüfungsergebnisse einer Sonderprüfung abzuwarten, deren Prüfungshandlungen noch nicht einmal begonnen hätten, sei nicht angemessen.

Die Begründungen für die Vergleichsvereinbarungen ähneln denen anderer großer D&O-Vergleiche. Das ist auch nicht überraschend, weil sämtliche derartige Fälle eine hohe Komplexität, rechtliche Unsicherheiten, immense Kosten und einen langen Untersuchungszeitraum aufweisen. Es sind also hohe Prozessrisiken, die teils unklare Rechtslage, die Prozessdauer, Kosten, Vollstreckungsrisiken, Bindung personeller Ressourcen mit den zu erwartenden Reputationsschäden abzuwägen. Die Eigenbeiträge der Vorstände seien auch im Lichte der Verdienste für Volkswagen zu betrachten.

Mit Abschluss der Vergleiche ist zwar das Buch der Dieselthematik bei VW noch längst nicht geschlossen – aber ein weiteres wichtiges Kapitel ist beendet.

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Dr. Eric Decker                                  Dr. Ingo Kühl

 

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[1] Der Begriff „Dieselthematik“ bezieht sich in den Vergleichen auf die Entwicklung, Installation, Vertrieb und sonstige Verwendung von bestimmten Softwarefunktionen in der Motorsteuerung von Dieselmotoren des Typs EA189, Typs EA288 und diversen Motoren des Typs V-TDI, die zu Abweichungen zwischen den Abgasemissionen im Prüfstands- und Realbetrieb führten, und alle damit zusammenhängenden Sachverhalte. Der Begriff umfasst zudem die Aufklärung und Aufarbeitung bei Volkswagen, AUDI und Porsche nach der Veröffentlichung der Notice of Violation durch die US-amerikanische Environmental Protection Agency (EPA) am 18.09.2015.

[2] Hierin enthalten sind zwei weitere Zahlungen durch Eigenbeiträge des Herrn Dr. Knirsch in Höhe von € 1,0 Mio. an Audi sowie von Herrn Hatz von € 1,5 Mio. an Porsche.

[3] Als Relevanter Sachverhalt sind neben der Dieselthematik auch etwaige sonstige Manipulationen, Verfälschungen oder Falschangaben von/zu Abgas-, Verbrauchs- oder Leistungswerten von Motoren aus dem Volkswagen-Konzern, einschließlich etwaiger Verstöße gegen Publizitätspflichten oder Bilanzierungsvorschriften sowie etwaige kartellrechtswidrige Absprachen erfasst.

[4] OLG Celle, NJW-RR 2017, 1511; BVerfG Beschl. v. 20.12.2017, NJW 2018, 381.