Neues Energiesicherungsgesetz: Erhebliche staatliche Eingriffe zur Sicherung kritischer Infrastrukturen im Energiesektor geplant

Die angespannte Lage auf den Energiemärkten wurde durch den Krieg in der Ukraine noch erheblich verschärft. Das drohende Szenario einer Einstellung der Gaslieferungen von Russland nach Deutschland heizt die Energiekrise weiter an. Der Bundestag hat sich daher am 29.04.2022 erstmals mit einer Novelle des „Energiesicher­heitsgesetzes 1975“ befasst. Das Gesetzgebungs­verfahren soll schon Ende dieser Woche abgeschlossen sein, steht also unter immensen Zeitdruck.

Das Energiesicherungsgesetz 1975 stammt aus Zeiten der Ölkrise und bedarf mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die fortschreitende Digitalisierung unzweifelhaft dringender Überarbeitung.

Der nun vorliegende Gesetzesentwurf zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975[1] enthält eine Reihe von signifikanten Änderungen und Eingriffsmöglichkeiten des Staates in den Markt. Zielrichtung ist dabei der Schutz der Energiemärkte vor Missbrauch durch Unternehmen, die kritische Infrastruktureinrichtungen der Energieversorgung betreiben.

Die wesentlichen Punkte sind:

  • Schaffung einer digitalen Plattform für Erdgas,
  • Möglichkeit der Anordnung einer Treuhandverwaltung für Unternehmen, die kritische Infrastruktur betreiben (u.a. Gasspeicher),
  • Möglichkeit der Enteignung solcher Unternehmen,
  • Regelung zur Preisanpassung bei verminderten Gasimporten entlang der Lieferketten und
  • Stärkung der europäischen Solidarität.

 

Digitale Plattform für Erdgas

Zur Vorbereitung und Sicherung der Energieversorgung im Krisenfall soll eine digitale Plattform für Erdgas errichtet werden, an denen sich Marktteilnehmer durch Registrierungs-, Buchführungs-, Nachweis- und Meldepflichten beteiligen müssen. Die Einzelheiten sollen durch Rechtsverordnung geregelt werden, wobei insbesondere Gasmengen, Preise, Identifikationsparameter und sonstige Marktverhältnisse übermittelt werden müssen.

Treuhandverwaltung für Unternehmen in der kritischen Infrastruktur im Sektor Energie

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Unternehmen, die kritische Infrastrukturen im Sinne von § 2 Absatz 10 des BSI-Gesetzes betreiben, unter Treuhandverwaltung gestellt werden können, wenn die „konkrete Gefahr“ besteht, dass „ohne eine Treuhandverwaltung das Unternehmen seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienenden Aufgaben nicht erfüllen wird, und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht“. Die Treuhandverwaltung soll auf sechs Monate befristet werden, wobei eine Verlängerung um jeweils weitere sechs Monate möglich ist. Treuhandverwaltung in diesem Sinne bedeutet insbesondere, dass

  • Stimmrechte des Gesellschafters ausgeschlossen werden,
  • Stimmrechte aus den Anteilen auf eine Stelle des Bundes übergehen, einschließlich der Befugnis Organe abzuberufen und neu zu bestellen sowie der Geschäftsleitung Weisungen zu erteilen,
  • die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsleitung beschränkt ist, und Verfügungen unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Stelle des Bundes stehen.

 

Die Stelle des Bundes, welche als Treuhänderin fungiert soll „darauf hinwirken“, dass der Betrieb des Unternehmens gemäß seiner Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie fortgeführt wird. Dabei kann auch eine Übertragung von Vermögensgegenständen des Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger zulässig sein, wenn dies zum Werterhalt des Unternehmens erforderlich ist. Die Übertragung der Anteile an dem unter Treuhandverwaltung gestellten Unternehmen soll hingegen nicht zulässig sein.

Es liegt auf der Hand, dass jegliche Treuhandkonstruktion rechtliche Unsicherheiten hervorruft, etwa, die Frage nach der Haftung des Treuhänders bei der Übertragung von Vermögensgegenständen auf andere Rechtsträger (die grundsätzlich zulässig sein soll) oder bei Pflichtverletzungen, die zu Schädigungen des unter Treuhandverwaltung stehenden Unternehmens führen. Auch die Frage der Reichweite der Weisungsbefugnis des Treuhänders ist nicht zweifelsfrei, weil etwa Vorstände von Aktiengesellschaften grundsätzlich weisungsfrei sind (anders als etwa Geschäftsführer einer GmbH).

Das Instrument der Treuhandverwaltung hat im Energiebereich erst jüngst für Schlagzeilen gesorgt. Der Bund hat mit Anordnung vom 4. April 2022 die Bunde­netzagentur als Treuhänderin der Gazprom Germania GmbH eingesetzt. Dies erfolgte allerdings nicht auf Grundlage des Energiesicherungsgesetzes, welches eine Regelung zur Treuhandverwaltung erst mit der Novellierung enthalten wird, sondern auf Basis von § 6 AWG. Anlass war die ungeklärte Übertragung der Gesellschafter­anteile durch Gazprom an andere in Russland ansässige Gesellschaften.

Die Treuhandverwaltung nach dem Energiesicherungsgesetz kann auch eine Rolle bei der PCK Raffinerie GmbH, Schwedt, spielen, die mehrheitlich im Eigentum der russischen Rosneft Gruppe steht.

Enteignung

Als ultima ratio sieht der Gesetzesentwurf im Bereich der kritischen Infrastruktur die Enteignung durch Rechtsverordnung vor. Der Gesetzgeber will dabei in Inhalt und Regelungssystematik auf das Gesetz zur Rettung von Unternehmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Rettungsübernahmegesetz) vom 7. April 2009 zurückgreifen. Die Enteignung wäre damit also nur zulässig, wenn sie (i) zur Sicherung des Funktionierens des Gemeinwesens und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit erforderlich ist und (ii) eine zeitlich begrenzte Treuhandverwaltung nach § 17 zur Erreichung dieses Zweckes nicht hinreichend geeignet ist. Sie erfolgt gegen Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes. Der Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht als erste und letzte Instanz ist eröffnet.

Regelung zur Preisanpassung bei verminderten Gasimporten entlang der Lieferkette

Von großer Bedeutung sind auch die Regelungen zu einem außerordentlichen gesetzlichen Preisanpassungsrecht. Wenn nach Ausrufung der Alarmstufe oder Notfallstufe nach dem Notfallplan Gas[2] durch die Bundesnetzagentur eine erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmenge nach Deutschland festgestellt wird, haben „alle hiervon betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette“ das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden „auf ein angemessenes Niveau anzupassen“. Dabei wird die Unterrichtungsfrist gegenüber allen Letztverbrauchern nach § 41 Abs. 5 S. 2 EnWG auf eine Woche verkürzt, d.h. die Preisänderungen werden bereits nach einer Woche wirksam (und nicht erst nach einem Monat bei Haushaltskunden oder zwei Wochen bei gewerblichen Kunden).

Die Regelung dient dem Schutz von Kaskadeneffekten und der Vermeidung einer Insolvenz von Energieversorgungsunternehmen. Wenn Gaslieferungen nach Deutschland ausbleiben oder drastisch gekürzt werden, sind Importeure auf eine teure Ersatzbeschaffung angewiesen, um ihre Lieferverpflichtungen gegenüber ihren Kunden erfüllen zu können. Betroffen sind gleichfalls nachfolgende Zwischen-Händler und Gaslieferanten.

Vertraglich vereinbarte Preisanpassungsrechte bleiben unberührt, sind allerdings für die Wirksamkeit eines Anpassungsverlangens nicht erforderlich, da es sich um einen gesetzlichen Preisanpassungsanspruch handelt, der neben dem Vertrag stehen soll. Nach der Gesetzesbegründung soll sich die Höhe der Anpassung an den tatsächlichen Ersatzbeschaffungskosten orientieren. Ob damit eine komplette Entlastung von Energieversorgungsunternehmen zu Lasten der Kunden angemessen erscheint oder eher ein Ausgleichsmechanismus zwischen allen Marktbeteiligten im Sinne einer prozentualen Regelung gefunden werden sollte, muss auf politischer Ebene überdacht werden. Auch fehlt in dem gegenwärtigen Entwurf jegliche Verpflichtung zum Nachweis von Umfang und Höhe der Preisanpassungen.

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[1] Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften, Deutscher Bundestag Drucksache 20/1501 vom 26.04.2022.

[2] Notfallplan Gas gemäß Artikel 8 der VERORDNUNG (EU) 2017/1938 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2017 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010

 

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