Das Verbandssanktionengesetz (Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft) wird zu einem deutlichen Paradigmenwechsel in der deutschen Rechts- und Compliance-Landschaft führen. Damit wird in Deutschland ein Gesetz geschaffen, das Unternehmen nicht nur sanktioniert, sondern auch Anreize für den Aufbau und die Unterhaltung eines effizienten Compliance-Management-Systems setzt. Die Verfolgung von Verstößen unterliegt nicht mehr dem sog. Opportunitätsprinzip (wie bei Ordnungswidrigkeiten), sondern wird durch das Legalitätsprinzip ersetzt. Damit steht die Frage des „Ob“ der Verfolgung künftig nicht mehr im Ermessen der zuständigen Behörde. Die Behörde muss vielmehr zwingend einschreiten. Das bekannte Nord-Süd-Gefälle in der Verfolgung soll egalisiert werden. Die Bedeutung eines effizienten Compliance-Management-Systems nimmt in vielfacher Hinsicht deutlich zu.
Interne Untersuchungen („Internal Investigations“) bekommen einen größeren Stellenwert, da sie über erhebliche Sanktionsmilderungen entscheiden können. Voraussetzung ist, dass sie richtig ausgeführt werden und das Unternehmen frühzeitig kooperiert. Hierin liegt zugleich ein Kritikpunkt: Der Gesetzentwurf verlangt damit nämlich eine quasi unbegrenzte und umfassende Kooperation mit den Verfolgungsbehörden bereits während der Untersuchungen, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Die Aufklärungsleistung des Unternehmens soll dann sanktionsmildernd berücksichtigt werden, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt. Eine derart verstandene Aufklärungsleistung setzt sowohl einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag als auch eine umfassende Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden voraus. Zusätzlich müssen die Befragungen der Mitarbeiter so durchgeführt werden, dass ihr Beweiswert im Strafverfahren nicht gemindert ist und sich die Gefahr von Falschaussagen nicht erhöht.
Der Bundesrat ist im September 2020 – entgegen mancher Erwartungen – nicht den Empfehlungen des federführenden Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses gefolgt, den Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen (Bundesrat Drucksache 440/20). Damit schien der Weg frei, das Gesetz zu beschließen.
Allerdings hat der Bundesrat in einigen Detailfragen Nachbesserungen des Gesetzentwurfs gefordert, die teilweise durchaus berechtigt erscheinen. So forderte der Bundesrat etwa eine Nachbesserung im Bereich der Zurechnung von Verschulden sog. sonstiger Personen. Der Regierungsentwurf lässt es genügen, wenn statt einer Leitungsperson eine sonstige Person („jemand“) eine Verbandstat in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes begangen hat. Zwar ist weitere Tatbestandsvoraussetzung, dass die „Leitungspersonen“ des Verbandes die durch den Mitarbeiter begangene Straftat hätten verhindern oder wesentlich erschweren können (durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht). Hier wird aber nicht auf eine eigene Verantwortlichkeit der Leitungspersonen abgestellt. Denn es soll nach der Gesetzesbegründung ausreichend sein, wenn das Unterlassen von Vorkehrungen (allein) „objektiv pflichtwidrig“ war. Die Organisationspflichten (etc.) müssen also weder vorsätzlich noch fahrlässig verletzt werden. Vielmehr soll für die Verbandsverantwortlichkeit allein an die begangene Verbandstat der Nicht-Leitungsperson angeknüpft werden, welche volldeliktisch gehandelt haben muss (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Seite 78). Es liegt auf der Hand, dass eine so weitreichende Zurechnung – losgelöst von einem subjektiven Verschulden von Leitungspersonen – verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Die Bundesregierung hat zum Jahresende 2020 in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates mitgeteilt, den entsprechenden Vorschlag des Bundesrats zu „prüfen“ (Deutscher Bundestag Drucksache 19/23568, S. 145). Hier sind also noch Veränderungen zu erwarten.
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Dr. Eric Decker Dr. Ingo Kühl
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