BGH klärt nationalen Rechtsschutz gegen ICSID-Schiedsverfahren zwischen EU-Investoren und Staaten

BGH klärt nationalen Rechtsschutz gegen ICSID-Schiedsver­fahren zwischen EU-Investoren und Staaten

 

Wenn zwei sich streiten, entscheidet der Dritte? So geschehen, als der BGH kürzlich über die unterschiedlichen Rechtsauffassungen des KG Berlin und OLG Köln zu entscheiden hatte, die ihren Hintergrund wiederum in mehreren schiedsrichterlichen Verfahren haben.[*]

Der BGH gelangte in drei Beschlüssen zu dem Ergebnis, dass Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgelagerten nationalen Rechtsschutz gegen Schiedsverfahren in Anspruch nehmen können, die Investoren aus anderen Mitgliedstaaten auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes, ICSID) nach dem ICSID-Übereinkommen vom 18.03.1965 eingeleitet haben (BGH, Beschl. v. 27.07.2023 – I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22).

I. Hintergrund

Die Beschlüsse des BGH betreffen Rechtstreitigkeiten zwischen der Bundesrepublik Deutschland bzw. den Niederlanden mit mehreren Unternehmen im Energiebereich (darunter RWE und Uniper).

Die Mitgliedstaaten hatten mit der Zielsetzung des Klimaschutzes (Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030) ihre Energiepolitik und dabei insbesondere relevante nationale Regelungen geändert. Davon betroffene Unternehmen leiteten in der Folge großvolumige ICSID-Schiedsverfahren ein.

Hiergegen wandten sich die betroffenen Staaten wiederum vor deutschen staatlichen Gerichten, mit dem Ziel, die Unzulässigkeit der eingeleiteten Schiedsverfahren feststellen zu lassen. Letztlich mit Erfolg:

II. Entscheidungen der Eingangs­instanzen

Das Kammergericht Berlin (Beschl. v. 28.04.2022 – 12 SchH 6/21) hatte den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens zurückgewiesen. Das Gericht vertrat die Auffassung, die zuvor eingeleiteten Schiedsverfahren nach dem ICSID-Übereinkommen seien Teil eines geschlossenes Rechtssystems, welches dem Schiedsgericht selbst die Letztentscheidungskompetenz in Bezug auf seine Zuständigkeit zuweise. Eine solche völkerrechtliche Vereinbarung könne nicht durch nationale Normen der ZPO durchbrochen werden, sodass der staatlichen Gerichtsbarkeit die Zuständigkeit fehle.

Demgegenüber gab das Oberlandesgericht Köln (Beschl. v. 01.09.2022 – 19 SchH 14/21) dem dort anhängig gemachten Antrag statt. Deutsche staatliche Gerichte hätten gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO darüber zu entscheiden, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliege oder nicht. Die Anträge seien auch begründet, weil die Schiedsklausel in Intra-EU-Investitionsstreitigkeiten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union insbesondere in den Rechtssachen Achmea (C-284/16) und Komstroy (C-741/19) gemäß Art. 267 und 344 AEUV unwirksam sei.

III. Entscheidung des BGH

Der BGH entschied in den Beschlüssen vom 27.07.2023 zugunsten der Mitgliedsstaaten und bestätigte damit die Entscheidung des OLG Köln.

Zwar sei ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO auf Feststellung der Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens jedenfalls ab Registrierung eines ICSID-Schiedsverfahrens wegen der vorrangigen Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts gemäß Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen zur Entscheidung über seine Zuständigkeit grundsätzlich nicht statthaft. Diese Sperrwirkung greife wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts – auch gegenüber dem Völkerrecht – unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes vorliegend aber nicht.

Im Intra-EU-Kontext sei nach der Rechtsprechung des EuGH aus unionsrechtlichen Gründen und entgegen der Regelungssystematik des ICSID-Übereinkommens eine nachgelagerte staatsgerichtliche Kontrolle eines ICSID-Schiedsspruchs zwingend erforderlich. Diese Kontrolle könne im Intra-EU-Kontext durch die vom deutschen Gesetzgeber mit § 1032 Abs. 2 ZPO ermöglichte vorgezogene staatsgerichtliche Kontrolle bindend vorweggenommen werden.

Die Anträge nach § 1032 Abs. 2 ZPO seien auch begründet. Denn es fehle bereits an einer wirksamen Einwilligung der EU-Mitgliedsstaaten zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung, da die Schiedsklausel in Art. 26 Abs. 2 Buchst. c, Abs. 3 und 4 des Energiecharta-Vertrags[1] nach der Rechtsprechung des EuGH gegen Unionsrecht verstoße. Dies wiederum begründe eine Unvereinbarkeit mit Art. 267, 344 AEUV.

Auf der Rechtsfolgenseite stellen die Entscheidungen des BGH bindend die Unzulässigkeit der schiedsrichterlichen Verfahren fest. Ein etwaig zuvor ergangener Schiedsspruch wäre nichtig.

IV. Fazit

Der BGH setzt damit die Rechtsprechung des EuGH zur Unzulässigkeit von Intra-EU Schiedsverfahren um. Dabei verdeutlicht er, dass Unionsrecht über dem Völkerrecht steht. Der BGH lässt deutlich erkennen, Intra-EU Schiedssprüche auf Grundlage der ICSID Konvention in Deutschland für nicht vollstreckbar zu halten.

Zu konstatieren ist in diesem Zusammenhang, dass zwischenzeitlich zahlreiche Vertragspartner den Austritt aus der EU-Energiecharta beschlossen haben (Italien in 2016) bzw. konkret in Erwägung ziehen (so insbesondere Deutschland, Spanien, Luxemburg, Polen, Frankreich, Slowenien und die Niederlande).

Zuletzt hat die Europäische Kommission im Juli 2023 die Empfehlung ausgesprochen, die EU, ihre Mitgliedstaaten und Euratom sollten koordiniert aus dem Vertrag über die Energiecharta austreten. Dies mit der Erwägung, der Vertrag sei seit seiner Verabschiedung in den 1990er Jahren weitgehend unverändert geblieben und nicht mit den Klimaambitionen der EU im Rahmen des Europäischen Green Deal und des Pariser Abkommens vereinbar.[2]

Im Übrigen verdeutlichen die besprochenen Entscheidungen, wie Schieds- und staatliche Gerichtsbarkeit – bereits vor Erlass des Schiedsspruches – miteinander verzahnt sein können. Dies vor allem auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Kläger in zwei Schiedsverfahren (Mainstream Renewable Power Ltd u.a. vs. Deutschland sowie RWE vs. Niederlande) das Schiedsgericht kurz vor der Entscheidung des BGH um Erlass einer einstweiligen Anordnung ersucht hatten, den Beklagten EU-Mitgliedstaaten die Weiterverfolgung des Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO vor den staatlichen Gerichten zu untersagen. Beide Anträge blieben letztlich ohne Erfolg. Auf Antrag der Parteien wurde ein Schiedsverfahren im Zuge der Ablehnung ausgesetzt.

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[1] Siehe insbesondere: Art. 26 Energiecharta-Vertrag „[…] (4) Beabsichtigt ein Investor, die Streitigkeit einer Beilegung nach Absatz 2 Buchstabe c zu unterwerfen, so hat er ferner schriftlich seine Zustimmung zu erteilen, damit die Streitigkeit folgenden Stellen vorgelegt werden kann: a) i) dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, das im Rahmen des am 18. März 1965 in Washington zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten […] errichtet wurde, falls sowohl die Vertragspartei des Investors als auch die an der Streitigkeit beteiligte Vertragspartei Vertragsparteien des ICSID-Übereinkommens sind, […].“

[2] https://energy.ec.europa.eu/news/european-commission-proposes-coordinated-eu-withdrawal-energy-charter-treaty-2023-07-07_en.

 

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* Wir danken unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Herrn Niclas Grabowski für die wertvolle Unterstützung bei diesem Beitrag.