Zulässigkeit von Vertragsstrafen bei Einheitspreisverträgen (BGH, Urt. v. 15.02.2024 – VII ZR 42/22)

Zulässigkeit von Vertragsstrafen bei Einheitspreisverträgen (BGH, Urt. v. 15.02.2024 – VII ZR 42/22) 

Die Rechtsprechung des BGH zur (Un-)Wirksamkeit von Vertragsstrafen kann als relativ ausdifferenziert bezeichnet werden. Der BGH hat zahlreiche Kriterien entwickelt, die – im Falle eines Verstoßes – zum Wegfall einer Vertragsstrafenregelung führen.

In Bau- und Anlagenbauverträgen sind Vertragsstrafen bei Nichterreichung des vertraglich vorgegebenen Fertigstellungstermins häufig anzutreffen. Für Einheitspreisverträge hat der BGH in einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung die Zulässigkeitsanforderungen weiter konkretisiert (BGH, Urt. v. 15.02.2024 – VII ZR 42/22).

I. Grundsätze: Zulässigkeit von Vertragsstrafen

Namentlich in Bau- und Anlagenbauverträgen sind Vertragsstrafen eine weit verbreitete Sanktion, die im deutschen Recht in den §§ 339-345 BGB geregelt sind. Vertragsstrafen bieten für den Auftraggeber den Vorteil, dass dieser im Falle eines Verstoßes unabhängig von einem tatsächlich eingetretenen Schaden einen vertraglich definierten Geldbetrag erhält.

Sind Vertragsstrafen – wie in der Praxis häufig – für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen und mithin allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), unterliegen sie der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB.

Der Bundesgerichtshof hat eine ausdifferenzierte Rechtsprechung zu formularmäßig verwendeten Vertragsstrafenklauseln entwickelt und den Prüfungsmaßstab zunehmend enger gefasst. Vertragsstrafenklauseln wurden vielfach als unangemessen und damit unwirksam gem. § 307 BGB bewertet.

Verfolgtes Ziel der diesbezüglichen Rechtsprechung ist ein Ausgleich zwischen dem berechtigten Druck und Kompensationsinteresse des Auftraggebers und dem Schutz des Auftragnehmers vor einer unangemessenen Benachteiligung. Insbesondere soll vermieden werden, dass ein Auftragnehmer bereits bei einem lediglich geringfügigen Verzug Gefahr läuft, jegliche wirtschaftlichen Vorteile des Vertragsschlusses zu verlieren.

Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung als regelmäßig unwirksam kann eine als AGB zu wertende Vertragsstrafenklausel bspw. angesehen werden, wenn folgende Grenzen überschritten sind:

a) Die von dem Auftragnehmer zu entrichtende Vertragsstrafe ist auf 5 % der Gesamtnettovergütung zu begrenzen.

b) Die pro Kalender-/Arbeitstag festgelegte Vertragsstrafensumme darf 0,2 % bzw. 0,3 % der Gesamtnettovergütung nicht übersteigen.

c) Bei vorangegangenen Zwischenterminen bereits verwirkten Vertragsstrafen müssen bei der Pönalisierung nachfolgender Überschreitungen von Zwischenfristen angerechnet werden (sog. Kumulationsverbot).

d) Eine verschuldensunabhängige Verwirkung von Vertragsstrafen ist auszuschließen.

Diese, zu Formularklauseln überwiegend im Baubereich entwickelte Rechtsprechung findet bei individuell vereinbarten Vertragsstrafen Regelungen jedoch keine Anwendung. Hier gelten dann die sich aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ergebenden Grenzen (im deutschen Recht insbesondere §§ 138, 242 BGB).

Ob die vorgenannten Prinzipien bei Formularklauseln spezifisch im Anlagenbaubereich ebenfalls gelten, wurde bislang höchstrichterlich nicht geklärt. Die Frage ist auch in der Literatur umstritten.

II. Zugrundeliegender Sachverhalt / Vorentscheidungen

In der hier näher zu betrachten Entscheidung des BGH von 15.02.2024 (VII ZR 42/22) stand folgende Vertragsstrafenklausel zur Prüfung: Der Bauunternehmer sollte für eine schuldhafte Überschreitung verbindlicher Vertragsfristen für jeden Werktag des Verzuges eine Vertragsstrafe in Höhe von 0,2 % der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) zahlen. Die Vertragsstrafe wurde auf einen Höchstbetrag von 5 % der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme begrenzt. Konkret lautete die Klausel:

„2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung […] der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:
[…]
0,2 v.H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;
[…]
2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5 v. H. der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.“

In dem zugrundeliegenden Fall erhielt ein Unternehmen bei einer Ausschreibung den Zuschlag für einen Auftrag zum Glasfaserausbau. Für die Vergütung wurden Einheitspreise vereinbart. Die endgültige Abrechnung war also mengenabhängig.

Nach Fertigstellung und Abnahme stellte das Unternehmen einen Betrag von rund € 6 Mio. in Rechnung. Hiervon brachte die auftraggebende Kommune die angeblich verwirkte Vertragsstrafe von € 285.000 in Abzug, weil es zu einer Verzögerung der Fertigstellung kam. Im Übrigen beglich die Kommune die Forderung.

Das Landgericht gab der Klage des Unternehmens auf Zahlung des restlichen Werklohns in Höhe der in Abzug gebrachten Vertragsstrafe statt. Das in zweiter Instanz angerufene Oberlandesgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.

III. BGH Urt. v. 15.02.2024 (VII ZR 42/22)

Die hiergegen eingelegte Revision zum BGH war erfolgreich und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte Kommune wurde mithin zur Zahlung verpflichtet.

Nach Auffassung des BGH hält die Vertragsstrafenklausel der AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB nicht stand und ist nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Die Klausel benachteilige den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

Das vom BGH erkannte Problem bestand darin, dass die Vertragsstrafe bei der gebotenen verwenderfeindlichen Auslegung deutlich mehr als 5 % des Vergütungsanspruchs ausmachen kann. Denn zum Zeitpunkt der schriftlichen Auftragserteilung (in dem vorliegenden Fall der Bezugspunkt für die Berechnung der Vertragsstrafenobergrenze) ist die Auftragssumme bei Einheitspreisverträgen lediglich vorläufiger Natur. Die vorläufige Auftragssummen bemisst sich nach den für die Ausschreibung in Ansatz gebrachten Mengenvordersätzen sowie den dafür festgelegten Einheitspreisen, also anhand eines bepreisten Leistungsverzeichnisses.

Der so ermittelte Vertragspreis beruht dabei lediglich auf einer Schätzung. Dem Einheitspreisvertrag immanent ist, dass die Vergütung des Auftragnehmers final erst im Nachhinein berechnet wird – und zwar auf Grundlage der später tatsächlich erbrachten Mengen.

Da es in der Phase der Erbringung der Leistungen zu Mengenminderungen kommen kann, kann die Abrechnungssumme die vorläufige Auftragssumme unterschreiten. Bei geringeren als den in Ansatz gebrachten Mengen sinkt der Vergütungsanspruch des Auftrag­nehmers im Verhältnis zur ursprünglichen Auftragssumme.

Dies begründe im vorliegenden Fall eine unangemessene Benachteiligung. Denn die von der Rechtsprechung entwickelte Vertragsstrafenschwelle von 5 % der objektiv dem Auftragnehmer zustehenden Vergütung kann überschritten werden.

IV. Ausblick

Die Entscheidung des BGH ist konsequent und festigt die entwickelten Grundsätze zu den Anforderungen an Vertragsstrafenklauseln. Das Urteil hat große praktische Bedeutung und dürfte eine Vielzahl bereits geschlossener Verträge betreffen

Neben der Anwendung auf Einheitspreisverträge ist eine Heranziehung bei anderen Vergütungsformen naheliegend, wenn die finale Vergütung von der Bezugsgröße der Vertragsstrafenobergrenze abweicht bzw. abweichen kann. Dies ist namentlich bei Zeithonorarvereinbarungen oder Bonus/Malus-Vereinbarungen der Fall.

Ebenso denkbar ist eine Übertragung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Beurteilung der Übersicherung einer Vertragserfüllungs­­bürgschaft (oder: Performance Bonds bzw. Performance Guarantees). Das dadurch abzusichernde Vertragserfüllungsrisiko verwirklicht sich, wenn der Auftragnehmer vor Abschluss seiner Leistung insolvent wird und der Auftraggeber einen Dritten mit der Vollendung beauftragen muss (dazu etwa: Decker, in: Rechtshandbuch Anlagenbau, 2. Aufl., Teil B.V. Rn. 437 ff.).

In der Praxis hat sich auf nationaler Ebene für die Vertragserfüllungsbürgschaft eine Größenordnung von 10% der Auftragssumme durchgesetzt, die von der deutschen Rechtsprechung in AGB generell als nicht unangemessen angesehen wird. Wird dies aber bspw. in Kombination mit einer Regelung vereinbart, wonach die sich aus geprüften Abschlagsrechnungen ergebenden Werklohnforderungen des Auftragnehmers nur zu 90% bezahlt werden, hat der BGH insgesamt auf eine unzulässige Übersicherung erkannt (BGH, Urt. v. 09.12.2010 − VII ZR 7/10). Vor diesem Hintergrund könnte die Herabsetzung einer Vertragserfüllungsbürgschaft etwa verlangt werden, wenn sich die Höhe der Bürgschaft nach dem Angebotspreis richtet, sich während der Auftragsausführung jedoch eine deutlich geringere tatsächliche Vergütung abzeichnet.

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