Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten – Neue Herausforderungen und Haftungsrisiken für Unternehmen
Mai 2021
Nach langem Tauziehen beschloss die Bundesregierung am 3. März 2021 den Entwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten („Sorgfaltspflichten-Gesetz“). Der hoch umstrittene Gesetzesentwurf soll noch im Mai / Juni das Gesetzgebungsverfahren in Bundesrat und Bundestag durchlaufen, wobei immer wieder einzelne Themen, wie etwa die Frage einer zivilrechtlichen Haftung, zu Verzögerungen führt[1].
Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs sollen Unternehmen mit Blick auf die Einhaltung international anerkannter Menschenrechte stärker in Verantwortung genommen werden:
„Durch dieses Gesetz werden in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Implementierung der Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen. Dadurch sollen zum einen die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen in den Lieferketten gestärkt, zum anderen den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden.“
- Anwendungsbereich
Das Sorgfaltspflichten-Gesetz findet auf alle Unternehmen, ungeachtet der Rechtsform Anwendung. Das Unternehmen muss seine Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz oder satzungsgemäßen Sitz lediglich in Deutschland haben. Maßgeblich ist, wo die Entscheidungen für das Risikomanagement der Lieferketten getroffen werden. Das Gesetz erfasst daher auch Unternehmen, die im Ausland gegründet sind und deren Sitz oder Hauptniederlassung in Deutschland liegt.
Das Sorgfaltspflichten-Gesetz soll ab dem 01.01.2023 für Unternehmen ab einer Personalstärke von in der Regel mindestens 3.000 Personen gelten, wobei auch Leiharbeitnehmer eingerechnet werden, vorausgesetzt sie sind mindestens 6 Monate beschäftigt. Ab dem 01.01.2024 ist eine Herabsetzung der Schwelle auf 1.000 Arbeitnehmer vorgesehen. Bei Konzernunternehmen (i.S.d. §§ 15 ff. AktG) sind sämtliche konzernangehörige Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Dies gilt mangels anderweitiger Regelung auch für ausländische Konzerntöchter.
- Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette
Das Sorgfaltspflichten-Gesetz definiert den Begriff der Lieferkette als alle Schritte, die im In- und Ausland zur Herstellung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen erforderlich sind. Von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Lieferung an den Endkunden soll der gesamte Wertschöpfungsprozess abgedeckt sein. Die Lieferkette erfasst:
- Das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich,
- das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und
- das Handeln eines mittelbaren Zulieferers.
Das Gesetz verpflichtet die Unternehmen die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette in „angemessener Weise“ zu beachten.
Die Sorgfaltspflichten begründen eine sog. Bemühens- und keine Erfolgspflicht. Unternehmen müssen also nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogene Pflichten verletzt werden. Sie müssen vielmehr nachweisen, dass sie die gesetzlich beschriebenen Sorgfaltspflichten umgesetzt haben, die vor dem Hintergrund ihres individuellen Kontextes machbar und angemessen sind.
Hierbei hält der Gesetzgeber die Unternehmen zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen an, beginnend mit der Einrichtung eines Risikomanagements, der Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (z.B. Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten, der an die Geschäftsleitung berichtet), regelmäßige Risikoanalysen, eine Grundsatzerklärung, Verankerung von Präventionsmaßnahmen, Abhilfemaßnahmen bei festgestellten Verstößen, Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens („Whistleblower System“), Umsetzung von Sorgfaltspflichten auch bei mittelbaren Zulieferern bis hin zur Dokumentation und Berichterstattung).
Dies sind die klassischen Bestandteile eines effizienten Compliance-Management-Systems, welches dem in der Praxis etablierten Modells des Prevent-Detect-Respond folgt. Das allgemeine Modell muss allerdings an die besonderen Anforderungen des Gesetzes über die Sorgfaltspflichten in Lieferketten angepasst werden.
Erlangt ein Unternehmen „substantiierte Kenntnis“ über potentielle Verletzungen von Menschenrechten oder umweltbezogenen Pflichten bei mittelbaren Zulieferern, sind anlassbezogen weitere Maßnahmen zu ergreifen. Der Rechtsbegriff der „substantiierten Kenntnis“ ist neu. Er soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs erfüllt sein, wenn dem Unternehmen überprüfbare und ernst zu nehmende Informationen über eine mögliche menschenrechtliche oder umweltbezogene Verletzung bei mittelbaren Zulieferern vorliegen. Dies könnten – so die Begründung – auch Informationen über Risiken in einer bestimmten Region sein, in denen ein Unternehmen oder mehrere Zulieferer tätig sind. Hier bleibt allerdings völlig offen, ob schon etwaige Presseberichte „überprüfbar“ und „ernst zu nehmen“ sind oder wie Regionen zu bewerten sind, in denen per se Risken für umweltbezogene Verletzungen oder Menschenrechtsverletzungen vorliegen.
Zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zählen u.a. die Vermeidung von Kinder- und Zwangsarbeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Kinderprostitution, Gewinnung von und Handel mit Drogen durch Kinder, aber auch die Missachtung von Arbeitsschutzpflichten, wenn hierdurch die Gefahr von Arbeitsunfällen oder arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren entstehen. Ebenfalls zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten zählt die Missachtung der Koalitionsfreiheit (Gründung und Beitritt zu Gewerkschaften, Betätigungsfreiheit von Gewerkschaften, z.B. Streikrecht) und das Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung etwa aufgrund nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung, sofern diese nicht in den Erfordernissen der Beschäftigung begründet ist. Ferner ist Bestandteil der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädlichen Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs, der geeignet ist, die Grundlagen zur Nahrungsproduktion, zu einwandfreiem Trinkwasser oder zu Sanitäranlagen zu erschweren oder die Gesundheit einer Person zu schädigen. Insoweit bewegt sich der Gesetzgeber entlang der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts[2].
Die umweltbezogenen Sorgfaltspflichten definiert das Gesetz unter Bezugnahme auf internationale Abkommen (Übereinkommen von Minamata v. 10.10.2013 über Quecksilber und Stockholmer Übereinkommen v. 06.05.2005 über persistente organische Schadstoffe; siehe die Anlagen zu dem Gesetzentwurf).
- Sanktionen
Das Gesetz enthält in § 24 einen langen Katalog, der fast alle geforderten Maßnahmen bußgeldbewehrt. Auch die Dokumentations- und Berichtspflichten werden sanktioniert. Bei natürlichen Personen betragen die Bußgelder bis zu € 800.000,00 und bei Unternehmen durch den Verweis auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG bis zu € 8 Mio. Bei Unternehmen, deren durchschnittlicher weltweiter Jahresumsatz der letzten 3 Geschäftsjahre, die der Behördenentscheidung vorausgehen, mehr als € 400 Mio. beträgt, können Ordnungswidrigkeiten mit bis zu 2% des Jahresumsatzes geahndet werden. Hervorzuheben ist dabei, dass die Behörde den Jahresumsatz auch schätzen darf, und dass eine Zurechnung von Auslandsumsätzen erfolgen soll, solange die verbundenen Unternehmen als wirtschaftliche Einheit operieren. Dieser erhöhte Bußgeldrahmen gilt nur für Verstöße durch unterlassene Abhilfemaßnahmen wegen Vorkommnissen im eigenen Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern.
Als weitere Sanktion kann ein Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge bis zur nachgewiesenen Selbstreinigung nach § 125 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgeschlossen werden, höchstens bis zu einem Zeitraum von 3 Jahren.
Im Rahmen der Bemessung des Bußgeldes greift der Gesetzgeber den Gedanken einer Sanktionsmilderung auf, wenn im Vorfeld ein angemessenes Compliance Management System zur Vermeidung und Aufdeckung von Ordnungswidrigkeiten bestand bzw. das Unternehmen sich bemüht hat, die Ordnungswidrigkeit aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen. Berücksichtigungsfähig sollen auch nach der Ordnungswidrigkeit getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Ordnungswidrigkeiten sein. Damit stärkt auch dieses Gesetz – ebenso wie das Verbandssanktionengesetz[3] und das Gesetz über die Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG)[4] – die Bedeutung eines effizienten Compliance-Management-Systems.
- Zivilrechtliche Haftung
Dem Gesetzesentwurf lässt sich keine spezialgesetzliche Haftungsnorm entnehmen, so dass es bei den allgemeinen delikts- und schuldrechtlichen Normen sowie dem Internationalen Privatrecht bleibt. Die Inanspruchnahme von Unternehmen auf dem Zivilrechtsweg wegen Verletzungen von Rechtspositionen, die im Sorgfaltspflichten-Gesetz angesprochen sind, bleibt daher möglich.
Personen, die in einer „überragend wichtigen“ Rechtsposition (etwa Leib oder Leben) verletzt sind, können Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen ermächtigen, ihre Rechte zur Prozessführung geltend zu machen. Es handelt sich um einen besonderen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft, die lediglich die wirksame Ermächtigung des Betroffenen voraussetzt. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs soll die Verwendung des Begriffs „überragend“ keinen Bewertungsunterschied hinsichtlich einzelner Menschenrechte implizieren, die universell und unteilbar seien.
Unberührt bleiben auch Haftungsrisiken der Organe aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG, etwa auf Schadensersatz des Unternehmens gegenüber Dritten oder der Verhängung von Bußgeldern wegen Defiziten des Compliance-Management-Systems. Denkbar sind auch Regresspflichten wegen Vergabesperren etc.
- Fazit
Obgleich die Pflichten für Unternehmen nach dem Sorgfaltspflichtengesetz erst zum 01.01.2023 in Kraft treten, entfaltet das Gesetz diverse Vorwirkungen, die zur Vermeidung von Risiken ernst genommen werden müssen.
Hierzu gehören:
- Durchführung einer frühzeitigen Risikoanalyse, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei seinen unmittelbaren Zulieferern zu ermitteln;
- Erarbeiten von Vorgaben in Lieferverträgen, um die vertraglichen Hebel bei Verletzung geschützter Rechtspositionen zur Durchsetzung von Abhilfemaßnahmen sicherzustellen;
- Prüfung des existierenden Compliance-Management-Systems (CMS), ob die notwendigen Anpassungen erfolgt sind (z.B. Einrichtung eines geeigneten und effizienten Whistleblower-Systems und Dritt-Parteien-Managements) oder Errichtung eines neuen CMS mit den notwenigen Elementen;
- Prüfung der Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie als integraler Bestandteil der Corporate-Social-Responsibility Politik und als Teil der Kommunikationsstrategie;
- Auswahl und Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten;
- Erhöhte Aufmerksamkeit bei der Due Diligence für M&A-Transaktionen zur Vermeidung von unerkannten Haftungsrisiken;
- die Berichtspflichten des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat sollten auch Risiken der Lieferketten und deren Mitigation umfassen;
- Prüfung versicherungsrechtlicher Aspekte im Hinblick auf D&O-Versicherungen.
Download Memo als PDF: https://comindis.com/wp-content/uploads/2021/05/20210520_Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten.pdf
************
Dr. Eric Decker Dr. Ingo Kühl
COMINDIS Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB
Steinstraße 27
40210 Düsseldorf
Germany
T +49 211 542249 20
F +49 211 542249 29
eric.decker@comindis.com
ingo.kuehl@comindis.com
www.comindis.com
[1] Zuletzt wurde der Regierungsentwurf von der Tagesordnung des Bundestages genommen, weil die Frage der zivilrechtlichen Haftung ungeklärt sei, so die FAZ am 17.05.2021 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/lieferkettengesetz-erst-einmal-ausgebremst-17345715.html
[2] In seinem Beschluss vom 24.03.2021 zu Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz hat das BVerfG betont, dass der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen einschließe, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohten. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates könne eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.
[3] https://comindis.com/2021/01/26/wann-kommt-das-verbandssanktionengesetz/
[4] https://comindis.com/2021/03/24/finanzmarktintegritaetsstaerkungsgesetz-fisg/