Local Content-Requirements –
Risiken und Chancen
1. Hintergrund
Local Content Requirements (LCR) sind Anforderungen an Inhalt und Art der Leistungserbringung von ausländischen Unternehmen in bestimmten Staaten. Diese Anforderungen sollen die lokale Wirtschaft vor negativen Auswirkungen der internationalen Märkte schützen. Besonders häufig werden LCR in Sektoren angewendet, in denen Einrichtungen des Staates selbst als öffentlich-rechtliche Auftraggeber agieren. Die grundsätzlich im öffentlichen Recht verankerten LCR werden in privatrechtliche Verträge inkorporiert. Verstöße des Auftragnehmers gegen LCR können so – neben Bußgeldern und Vergabesperren – Vertragsstrafen und Kündigungsrechte des Auftraggebers nach sich ziehen.
LCR können vielgestaltig sein. Typische Vorgaben sind etwa eine Quote an inländischen Arbeitnehmern oder Lieferungen und Leistungen aus dem Auftraggeberstaat, die der ausländische Auftragnehmer bei dem Projekt einzusetzen bzw. zu verwenden hat.
Bei den Verwendern von LCR handelt es sich oft um Schwellenländer, wie z.B. Brasilien und Indien, oder diverse afrikanische Staaten, wie u.a. Südafrika und Ghana. Aber auch Wirtschaftsmächte, wie vor allem die Vereinigten Staaten und China machen von LCR regen Gebrauch. Ziel von LCR ist einerseits, Glieder der Wertschöpfungskette im Inland zu halten. So soll die eigene Volkswirtschaft kurz- und mittelfristig gestärkt werden. Andererseits sollen sog. Training Requirements und Technologietransfers eine Weiterbildung der lokalen Fachkräfte und eine vermehrte Innovationskraft bewirken. Gerade wirtschaftlich weniger starke Staaten versprechen sich hiervon mittel- bis langfristig wirtschaftliche Unabhängigkeit durch eine gesteigerte Konkurrenzfähigkeit.
Ob diese Ziele erreicht werden, ist zweifelhaft. In ökonomischer Hinsicht dominiert die Ansicht, dass LCR zwar kurzfristig durchaus zu gesteigerten Wirtschaftsleistungen führen können. Zumindest langfristig dürften jedoch die Nachteile überwiegen. Diese bestehen insbesondere in einer Verkleinerung des Pools potenzieller Auftragnehmer und Arbeitskräfte, die durch die Nichtberücksichtigung internationaler Unternehmen aufgrund von LCR ausscheiden. Letztliche Folge ist, dass weniger qualifizierte oder weniger effiziente Auftragnehmer und Arbeitskräfte eingesetzt werden. Für die durch LCR begünstigte Unternehmen des Auftraggeberstaates schafft dies eine unrealistische Marktsituation. Diese Unternehmen sehen sich allenfalls einem sehr eingeschränkten internationalem Wettbewerb ausgesetzt. Auf längere Sicht ist dies nachteilig. Denn so werden eigentlich notwendige Innovationen ausgebremst, was zu dem genauen Gegensatz zu dem eigentlich verfolgten Ziel steht: der langfristigen wirtschaftlichen Unabhängigkeit.
Trotz der überwiegenden konzeptionellen Kritik sind LCR weltweit verbreitet. Gegenwärtig[1] zählen Indien, Brasilien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten zu den häufigsten Nutzern von LCR. Hier kommen sie insbesondere im Automobilsektor, im Bergbau sowie in der Öl- und Energiewirtschaft zum Einsatz. Im Rahmen des “Inflation Reduction Act” führten die Vereinigten Staaten ebenso zahlreiche LCR für erneuerbare Energien ein.
2. Rechtliche Zulässigkeit
Die rechtliche Zulässigkeit von LCR ist zweifelhaft.
Eindeutig dürfte diese Frage jedenfalls auf EU-Ebene zu beantworten sein. Verabschiedet ein Mitgliedsstaat LCR, die lediglich Produkte und Dienstleistungen aus dem eigenen Staat fördern, wäre dies offenkundig unionsrechtswidrig. Denn dies würde Unternehmen anderer Mitgliedsstaaten benachteiligen, worin ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 246 AEUV[2]) liegt. Hiergegen könnten die Mitgliedstaaten benachteiligter Unternehmen das Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH erheben.
Auch mit Blick auf das Recht der WTO[3] sind LCR kritisch zu sehen. Die überwiegende Zahl der großen LCR-Verwenderstaaten sind Mitglied der WTO und haben sich deren Recht unterworfen. Auch unter WTO-Recht gilt ein Diskriminierungsverbot, das sich insbesondere in Art. III Abs. 4 GATT 1994 wiederfindet. Danach dürfen Produkte aus einem WTO-Staat, die in einen anderen WTO-Staat importiert werden, nicht schlechter gestellt werden als inländische Produkte.
Rechtsschutz auf WTO-Ebene können potenzielle Auftragnehmer durch Einleitung einer Beschwerde vor dem WTO Dispute Settlement-Body (DSB) ersuchen. Ist die Beschwerde begründet, erklärt der DSB die LCR für WTO-rechtswidrig. Auftragnehmer sind allerdings darauf beschränkt, ein solches Verfahren beim eigenen Heimatstaat anzuregen. Denn die Antragsbefugnis liegt allein auf staatlicher Ebene. Die tatsächliche Effektivität des Beschwerdeverfahrens darf allerdings in Zweifel gezogen werden. Jedenfalls bei zeitlich begrenzten LCR kann sich der in dem Beschwerdeverfahren unterliegende Auftraggeberstaat durch Erhebung eines Rechtsmittels zum Appellate Body der WTO die Umsetzung unter Umständen so lange hinauszögern bis diese ausläuft.
Für das benachteiligte Unternehmen verbleibt die Möglichkeit, über das Festhalten an den LCR-Vorgaben zu verhandeln. Zielführend kann dies sein, wenn der Auftragnehmer seinen Heimatstaat davon überzeugen kann, die Verhandlungen auf WTO-Ebene zu führen. So lässt sich erheblich mehr Druck ausüben als bei Verhandlungen durch den einzelnen Auftragnehmer.
In der Praxis ist die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit von LCR aber zumeist theoretischer Natur: Denn im Wettbewerb um Aufträge stehen potenzielle Auftragnehmer häufig vor der Wahl, entweder Fuß im konkreten Auftraggeberstaat zu fassen oder gegen die (vermutlich) rechtswidrige LCR vorzugehen. Letzteres dürfte in aller Regel aber mit dem Verlust des jeweiligen Auftrags einhergehen.
3. Häufig verwendete LCR
Die am häufigsten vorzufindenden LCR sind die bereits erwähnten Employment- und Training Requirements, Technologietransfers sowie Quoten für die Beauftragung inländischer Subunternehmer bzw. Verwendung inländischer Materialien.
Employment Requirements können etwa vorschreiben, dass mindestens 50% der in einer zu errichtenden Betriebsstätte zu beschäftigenden Arbeitnehmer aus dem Inland stammen oder einer (benachteiligten) ethnischen Gruppe angehören. Ebenso treten Vorgaben auf, dass bei gleicher Qualifikation Bewerbungen inländischer Arbeitskräfte zu bevorzugen sind.
Training Requirements bestehen bspw. darin, dass der Auftragnehmer einen bestimmten Prozentsatz des Auftragsvolumens in Trainingsprogramme für lokale Fachkräfte investieren oder solche Programme selbst durchführen muss.
Durch Technologietransfers wird dem Auftragnehmer vorgeschrieben, Unternehmen im Auftraggeberstaat (mitunter hochentwickelte) Technologien zur Verfügung zu stellen. Wohl am einschneidendsten sind dahingehende Vorgaben für den Auftragnehmer, wenn er Lizenzen an selbst entwickelter, eventuell sogar exklusiv genutzter Technologie teilen muss. Hier ist abzuwägen, ob das erwartete Auftragsvolumen den Wertverlust der Exklusivität aufwiegt.
Quoten für die Verwendung inländischer Materialien und die Beauftragung inländischer Subunternehmer bergen für Auftragnehmer in vielerlei Hinsicht mitunter erhebliche Haftungsrisiken: Bei der Beauftragung unbekannter Subunternehmer können sich Compliance-Probleme (etwa in Form von Schwarzarbeit, Kickbacks an den Auftraggeber und sonst auf Grund persönlicher Verflechtungen gewillkürten Auftragsvergaben) ergeben. Daneben ist bei der Beauftragung bzw. dem Einsatz bislang unbekannter Subunternehmer / Materialien an eine mögliche zivilrechtliche Haftung zu denken. Denn im Falle eine möglichen Schlechtleistung des inländischen Zulieferers sieht sich der in der bekannten „Sandwich-Position“ befindliche Unternehmer häufig Ansprüchen seines Kunden ausgesetzt.
Zudem gebieten LCR stets auch ein besonderes Augenmerk auf das Management von Arbeitsschutz, Nachhaltigkeit und Qualitätssicherung.
Mit Blick auf die zahlreichen Fallstricke bei der Implementierung und Umsetzung von LCR ist Auftragnehmern daher anzuraten, in Zweifelsfällen fachlichen Rat in Anspruch zu nehmen.
4. Goldene Regeln bei der Umsetzung von LCR
Bei der Implementierung von LCR sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen und ggf. abzuwägen. In der Praxis sind insbesondere folgende zehn Kernpunkte zu beachten:
- Anhand der Ausschreibungsunterlagen und dem lokalen Recht ist zu prüfen, welche LCR einschlägig sind und was konkret verlangt wird.
- Unklarheiten im Scope und in der Leistungsbeschreibung der LCR sind bei Angebotsabgabe zu vermeiden.
- LCR bedeuten bei der Auftragsausführung in der Regel Mehrkosten, die bei der Angebotskalkulation zu berücksichtigen und einzupreisen sind.
- Muss mit unbekannten lokalen Subunternehmern und Materialien gearbeitet werden, ist die Vereinbarung entsprechender Haftungsausschlüsse gegenüber dem Auftragnehmer ratsam.
- Sehen LCR Training Requirements vor, ist zu prüfen, ob diese – ohne Gefährdung des Auftragserfolges – fachlich und personell durchführbar sind.
- Die Eingliederung lokaler Arbeiter aufgrund von LCR kann ein de facto-Arbeitsverhältnis begründen. Dies zu prüfen und abzuwägen.
- Ist ein Technologietransfer vorgegeben, ist die Nachteilhaftigkeit für den Auftragnehmer zu untersuchen. Das ist vor allem bei der Pflicht zur Teilung / Übertragung von Lizenzen möglich.
- Der Auftragnehmer muss sicherstellen, dass er gegenüber dem lokalen Baustellenpersonal erforderliche Weisungsrechte hat.
- Gerade bei der Zusammenarbeit mit lokalen Subunternehmern ist eine umfangreiche Compliance-Prüfung dringend zu empfehlen. Dies vor allem mit Blick auf Schwarzarbeit, Korruption, Arbeitsschutz, Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeit.
- Bei den Vertragsverhandlungen ist darauf zu achten, dass keine überhöhten Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung der LCR vereinbart werden. Die Vereinbarung von (Zwischen-)Caps ist ratsam!
5. Fazit
Unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit und der – bei einer mittel- und langfristigen Betrachtung – zweifelhaften Zweckmäßigkeit, sind LCR weiterhin ein nicht zu vernachlässigendes Thema im internationalen Rechtsverkehr. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Anlagenbaus. Für Auftragnehmer kommt es vor allem darauf an, LCR (kosten)effizient zu implementieren, ohne hierbei auf Rechtssicherheit zu verzichten. Ein im Voraus geplantes effektives Compliance-, Haftungs-, und Qualitätssicherungsregime ist hierfür unerlässlich.
[1] Zahlen aus 2018, Quelle: The Economic Impact of Local Content Requirements: A Case Study of Heavy Vehicles | (ecipe.org).
[2] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
[3] World Trade Organisation.
**********
COMINDIS is a Boutique Law firm specialized in Project & Dispute Resolution, Corporate & Compliance and Insurance with a particular focus on plant engineering, energy and infrastructure. If you need legal support in your project, please approach us.
************
Dr. Eric Decker Dr. Ingo Kühl
COMINDIS Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB
Berliner Allee 22
40212 Düsseldorf
Germany
T +49 211 542249 20
F +49 211 542249 29
eric.decker@comindis.com
ingo.kuehl@comindis.com
www.comindis.com
Please be aware that this publication shall not be taken as a legal advice. Any project requires intensive legal review and negotiations with the contractual partner.