Mit einer seiner sehr seltenen Entscheidungen zum Themenbereich Anlagenbau hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Paukenschlag gesetzt[1]: Das Gericht hat eine Regelung im Thüringischen Waldgesetz, die einen generellen Ausschluss von Windenergieanlagen auf Waldflächen enthielt, als mit dem Grundgesetz unvereinbar und für nichtig erklärt.
Bemerkenswert sind die Begründungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich einerseits mit der Frage der formellen Gesetzgebungsbefugnis der Länder im Bereich Windenergie befassen, andererseits auf Überlegungen zu der durch Art. 20a GG und grundgesetzliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandel stützen.
Die Entscheidung wird weitreichende Folgen haben und in weiteren Bundesländern, die ähnliche Regelungen in ihren Waldgesetzen enthalten[2], Änderungen nach sich ziehen. Die Debatte um Flächen für Windenergieanlagen wird verschärft durch den erheblichen Rückgang der neuerrichteten Anlagen. Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssten wesentlich mehr Anlagen gebaut werden. Während in den Jahren 2014 – 2017 im Durchschnitt jährlich über 1.600 Anlagen errichtet wurden, stagniert der Ausbau nunmehr seit etwa 3 Jahren bei ca. 480 Anlagen pro Jahr.
Gegenstand der Entscheidung war § 10 Abs. 1 des Thüringer Waldgesetzes (ThürWaldG), die lautete: „Wald darf nur nach vorheriger Genehmigung der unteren Forstbehörde in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden (Änderung der Nutzungsart). Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig. […]“. Den vorstehend zitierten Satz 2 des § 10 Abs. 1 ThürWaldG hat das Bundesverfassungsgericht nun für mit dem Grundgesetz unvereinbar erkannt.
Die Beschwerdeführer machten eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG geltend. Sie sind Eigentümerin und Eigentümer von in Thüringen gelegenen Waldgrundstücken. Der Waldbestand auf ihren Grundstücken war teilweise, insbesondere durch Schädlingsbefall erheblich geschädigt und wurde deshalb gerodet. Beabsichtigt war eine Nutzung der Grundstücke durch Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen. Die Beschwerdeführer hielten die angegriffene Norm für verfassungswidrig, weil dem Freistaat Thüringen für § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG die Gesetzgebungskompetenz fehle.
Regelung formell verfassungswidrig
Diesem Vortrag ist das Bundesverfassungsgericht in vollem Umfang gefolgt. Der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums) sei nicht gerechtfertigt, weil die angegriffene Regelung aufgrund des Nichtvorliegens der erforderlichen Gesetzgebungszuständigkeit formell verfassungswidrig sei. § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG sei der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) zuzuordnen. Von dieser habe der Bund, insbesondere durch die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich, abschließend Gebrauch gemacht, sodass insoweit keine Gesetzgebungszuständigkeit mehr bei den Ländern verbleibe (Art. 72 Abs. 1 GG).
Ausbau der Nutzung der Windkraft faktisch unverzichtbarer Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels
Bemerkenswert sind auch die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, die den Ausbau der Windenergie in den Kontext des Art. 20a GG und eine durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotene Begrenzung des Klimawandels setzen. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich dabei auf seine richtungsweisende Entscheidung vom 24.03.2021 (BVerfGE 157, 30, Rn. 208 ff.) und erläutert, dass erhebliche weitere Anstrengungen zur Reduzierung der Treibhausgasreduktion unternommen werden müssten. Dazu solle insbesondere der Ausbau der Windkraftnutzung beitragen, um das verfassungsrechtlich maßgebliche Klimaschutzziel zu wahren, die Erderwärmung bei deutlich unter 2,0 °C, möglichst 1,5 °C, anzuhalten. Es sei daher „fernliegend“, dass das Bundesrecht (hier das BBauG) auf eine „zentrale Klimaschutz- und Energieversorgungsstrategie“, nämlich die privilegierte Zulassung der Windenergienutzung verzichten könne, in dem es den Ländern erlaube, durch landesrechtliche Umwandlungsverbote die Windenergieerzeugung auf Waldflächen vollständig auszuschließen.
Neues Erneuerbare-Energien-Gesetz verstärkt das Gewicht der Windenergienutzung
Schlussendlich verweist das Bundesverfassungsgericht zutreffend auf § 2 des EEG in der Neufassung vom 29.07.2022. Hiernach liegt die Errichtung und der Betrieb von EEG-Anlagen im „überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit“. Ein pauschales Umwandlungsverbot von Waldflächen zugunsten der Nutzung für Windenergie ist damit nur schwerlich vereinbar.
Fazit
Das Bundesverfassungsgericht hat in aller Klarheit bestätigt, dass erneuerbare Energien und insbesondere die Windenergie nicht durch landesrechtliche Pauschalverbote verhindert werden dürfen. Die Entscheidung wird Auswirkungen auch in anderen Bundesländern haben, in denen ähnliche Regelungen kodifiziert sind. Sie wirft aber auch ein Schlaglicht auf die kontroverse Diskussion um Abstandsflächen von Windenergieanlagen. Zwar ist hier den Ländern grundsätzlich über § 249 Abs. 3 BauGB[3] erlaubt, eine (bodenrechtliche) Regelung zu treffen, die die Errichtung von Windenergieanlagen in einem bestimmten Umkreis um Wohnbebauung praktisch ausschließt.[4] Aber auch diese Regelungen werden sich zukünftig an den vom Bundesverfassungsgericht erkannten Klimaschutzzielen mit Verfassungsrang und dem überragenden öffentlichen Interesse an der Errichtung von Windenergieanlagen messen lassen müssen.
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[1] BVerfG Beschluss des Ersten Senats vom 27. September 2022, – 1 BvR 2661/21 –
[2] So ist z.B. im Waldgesetz Schleswig-Holstein – dem Bundesland mit den meisten Windenergieanlagen – gem. §9 Abs. 3 die Umwandlung von Wald zur Errichtung von Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 10 Metern unzulässig. Die durchschnittliche Windenergieanlage des ersten Halbjahres 2022 erreicht eine Gesamthöhe von 201 m. D.h. die Regelung im WaldG-SH führt zu einem generellen Verbot. Auch die Regelung im Saarland (§8 Abs. 2 WaldGSL) ist voraussichtlich verfassungswidrig, weil darin historisch altem Wald (d.h. Grundflächen, auf denen sich seit mindestens 1817 Wald befindet) die Belange des Natur- und Bodenschutzes der Errichtung von baulichen Anlagen, die der Nutzung der Windenergie dienen, „in der Regel entgegenstehen“ sollen.
[3] etwa in Bayern die sog. 10H Regel; s. künftig § 35 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 249 Abs. 1 bis 9 BauGB in der zum 1.02.2023 in Kraft tretenden Neufassung durch Art. 2 des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land vom 20. Juli 2022, BGBl I S. 1353
[4] Die Festlegung von Mindestabständen ist dabei auf ein Höchstmaß von 1.000 Metern beschränkt. Dies gilt jedoch nicht für bereits bestehende Länderregelungen mit höheren Mindestabständen, die im Rahmen des § 249 Abs. 3 BauGB a.F. bis zum 31.12.2015 erlassen worden sind.
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